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Irene K.

by Rita S.

 


Irene K. ist im Jahr 1929 in einer deutschen Kleinstadt geboren. Zur Zeit des Interviews ist sie 91 Jahre alt. Sie ist seit 1994 Witwe und lebt allein in einem Haus mit Garten in einem kleineren Ort in Deutschland. Sie hat eine Tochter, drei Enkelkinder und ein Urenkelkind.


Kindheit und Jugendalter
Irene erzählt, dass ihre Mutter häufig krank war und sie sich um die Mutter kümmern musste:
„meine Mutter war wie mein Kind, um das ich mich immer gekümmert habe“. Sie beschreibt die Mutter als musische Person, die auch Gedichte geschrieben hat. Sie hing sehr an ihrem zwei Jahre älteren Bruder:
„mein Bruder war mein bester Freund“.
Der Vater war sehr streng, die Kinder mussten ihm aufs Wort hören.
Irene ist immer gerne zur Schule gegangen. In den Ferien musste sie zu Hause häufig arbeiten. Daher hat sie sich meist gefreut, wenn die Ferien zu Ende waren und sie wieder in die Schule konnte.


Bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges war sie 10 Jahre alt. Sie erinnert sich an schreckliche Erlebnisse im Krieg, an einen Großangriff und die Zerstörung der Stadt. Sie berichtet von vielen Toten, die überall lagen oder an Verschüttete, die unter den Trümmern klopften.
Sie hatte eine gute Freundin, mit der sie alles zusammen bewältigt hat:
„ sie war meine engste Vertraute“. Mit 14 Jahren durfte sie eine Lehrerbildungsanstalt besuchen:
„mein Traum war Volksschullehrerin zu werden“.
In der Ausbildungsstätte hat sie mit vielen anderen Schülerinnen im Internat zusammen gewohnt, was ihr gut gefallen hat.
„Mich hat glücklich gemacht in einer großen Gemeinschaft zu sein, wir waren 64 Mädchen zwischen 14 – 19 Jahren, die in großen Schlafsälen untergebracht waren. Ich ging sehr gerne zur Schule, das habe ich geliebt, all die jungen Leute um mich herum. Da kamen natürlich auch schlimme Nachrichten, dass ein Vater oder Bruder gefallen war, das war dann nicht schön, man versucht die anderen Mädchen zu trösten. Im großen und ganzen war ich immer gerne ein Herdentier, das war die
schönste Zeit meiner Jugend“.


Nach dem Krieg musste Irene die Lehrerausbildungsanstalt verlassen, der Vater konnte das Schulgeld nicht bezahlen. Von ihrem Bruder hat die Familie lange nichts gehört, er war noch in Kriegsgefangenschaft. Der Vater hat nach dem Krieg seine große Werkstatt wieder aufgebaut, sie musste dabei sehr viel helfen und körperlich arbeiten. Nachdem die Werkstatt und das Geschäft für Installationen wieder hergerichtet war, hat sie ohne Bezahlung beim Vater im Büro gearbeitet. Hier hat sie sich selbst das Schreiben auf der Schreibmaschine beigebracht und einen Kurs in Stenografie besucht.


Erwachsenen-Zeit
Mit 18 Jahren hat Irene ihren Mann kennen gelernt, den sie vier Jahre später geheiratet hat. In der Zwischenzeit hat sie eine Arbeitsstelle in der Großstadt Frankfurt gefunden. Während dieser Zeit wohnte sie bei einer Tante.


Nach der Hochzeit und der Geburt einer Tochter hat sie in verschiedenen Bereichen als Verwaltungsangestellte gearbeitet, z.B. in der Verwaltung eines Krankenhauses oder mit ihrem Mann zusammen eine Tankstelle übernommen. Als sie diese aufgegeben haben und in ihr Haus gezogen sind, in der Frau K. heute noch lebt, hat sie eine Verwaltungstätigkeit in einer Gehörlosenschule angenommen. Sie erzählt, dass sie immer sehr gerne gearbeitet hat, auch an dieser Schule:
„Ja, ich bin jeden Tag gerne zur Arbeit, ich war immer eine halbe Stunde zu früh, weil ich in der Gehörlosenschule auch die Kinder einzuteilen hatte, die befördert wurden“.
Die letzten Jahre ihrer Berufstätigkeit waren nicht leicht, weil ihr Mann im Alter von 58 Jahren einen Schlaganfall erlitten hat. Er konnte zeitweise noch mit dem Stock laufen, war insgesamt aber sehr gehandicapt. Insgesamt war ihr Mann 13 Jahre krank und wurde von ihr zu Hause betreut.


Alter
Irene musste in den letzten Jahren ihrer Berufstätigkeit die Pflege des Mannes und den Beruf bewältigen. Mit 61 Jahren hat sie daher aufgehört zu arbeiten.
„Es waren 5 Jahre, in denen ich dann zu Hause war, wir mussten oft zum Arzt, ins Krankenhaus, es war eine schlimme Zeit“
Im Alter zwischen 54 und 60 Jahren kamen ihre drei Enkelkinder zur Welt, was ihr sehr geholfen hat.

„ Aber die Kinder von meiner Tochter die haben mich damals glücklich gemacht. Mein Man hat ja noch gelebt. Und als ich dann zu Hause war – mein Mann hat auch die Kinder geliebt – habe ich immer die Kinder am Wochenende da gehabt.
Der intensive Kontakt zu den Enkelkindern hat ihr sehr gut gefallen,
„weil ich immer viele Kinder wollte. Meine Enkel sind heute wie meine Kinder. Ich spreche mit denen über alles. Die kommen alle heute noch gerne. Diesbezüglich habe heute ich ein glückliches Leben“.


Irene hat ihren Mann bis zu seinem Tod zu Hause gepflegt:
„Ich wollte ja auch dass er im Haus stirbt, weil er das so geliebt hat“.
Nach dem Tod ihres Mannes ist sie wieder in den Turnverein gegangen, zum Seniorentreff und hat töpfern gelernt.


Inzwischen kann sie nicht mehr so lange schlafen wie früher.
„ Aber wenn ich wach bin habe ich mir angewöhnt an schöne Dinge zu denken, die ich erlebt habe, ob in der Kindheit, ob in der Jugend, ob mit meinen Enkeln oder meiner Tochter, mit meinem Mann, wir hatten auch eine gute Ehe. Dann denke ich an so Dinge, da geht erstens die Nacht schnell herum und innerlich macht es mich glücklich“.


Irene erzählt, dass sie einen festen Tagesablauf hat: Normalerweise steht sie um 7 a.m. Uhr auf, nach der Körperpflege im Bad gibt es um 8 a.m. Uhr Frühstück. Danach liest sie bis 10 a.m. Uhr Zeitung, anschließend bringt sie das Haus in Ordnung. Mittagessen gibt es pünktlich um 12 Uhr, sie kocht noch selbst, immer für zwei Tage. Zwischen 1 p.m. und 2 p.m. gönnt sie sich eine Pause auf dem Sofa, dabei schaut sie Fernsehen. Danach fährt sie zum einkaufen, geht auf den Friedhof oder arbeitet im Garten. Um 3 p.m. trinkt sie zwei Tassen Kaffee, um 7 p.m. gibt es Abendbrot.


„Zwischendrin lerne ich was ich gar nicht brauche.
Rätsel mache ich leidenschaftlich gerne, schon in der Zeitung wird immer zum Schluss noch das Rätsel gemacht, dann lese ich Englisch auf dem Tageskalender, übe ich Stenografie oder lese ein Buch. Ich gehe montags turnen, einmal im Monat mittwochs zu den Senioren, bis letztes Jahr habe ich mich noch mit ehemaligen Arbeitskollegen getroffen und ich muss sagen: Langeweile habe ich nie“.
„Ich kann nur jedem alten Mensch empfehlen, sein Leben auch im Alter einzuteilen“.
Vor der weiteren Zukunft hat Frau K. keine Angst.
„Ich konnte ja früher noch viel mehr machen. Wenn ich nicht mehr kann, hätte ich

auch keine Angst vor einem Seniorenheim“.


Sie möchte nicht zu ihrer Tochter ziehen, um der Familie nicht zur Last zu fallen. Wenn sie aber in ein Seniorenheim umziehen müsste, sollte dies in der Nähe der Tochter und der Enkelkinder sein. Materielle Wünsche hat sie keine mehr, aber
„ den einzigen Wunsch den ich habe, dass ich körperlich fit bleibe, dass ich vor allen Dingen laufen kann und das ist das was ich mir wünsche. Und ich hänge auch nicht an materiellen Dingen, Innere Werte sind mir wichtiger, z.B. wenn jemand mich mal umarmt, oder ein liebes Wort oder ein Händedruck, wo ich weiß, das kommt von Herzen und ist ehrlich. Dafür bin ich dankbar und es ist mir lieber als ein großer Blumenstrauß“.


Zusammenfassende Betrachtung
In der Erzählung von Irene über ihr Leben zeigen sich Themen, die sich wiederholen: Verantwortung, Bedeutung der Familie, Stellenwert sozialer Kontakte sowie die Freude am Lernen und an der Arbeit.


Schon als junges Kind hat Irene Verantwortung für ihre häufig kranke Mutter übernehmen müssen. In ihrer Aussage „meine Mutter war wie mein Kind“ wird deutlich, dass sie hier eine Rollenumkehrung beschreibt. Auch im Alter hat sie wieder Verantwortung übernommen, indem sie viele Jahre ihren kranken Mann gepflegt hat. Es scheint, dass sie diese Verantwortung in den unterschiedlichen Lebensphasen selbstverständlich übernommen hat, da gute familiäre Bindungen einen hohen Stellenwert für sie hatten und noch haben. Bei der Mutter betont sie nicht nur die Krankheiten, sondern auch die musischen Seiten ihrer Mutter, der Bruder war ihr bester Freund, auch im späteren Leben“. In der Phase des Älterwerdens werden die Beziehungen zu den Enkelkindern besonders wichtig: „die Kinder meiner Tochter haben mich damals glücklich gemacht“. Bis heute scheint es einen gewichtigen Einfluss auf ihr Wohlbefinden zu haben: „Meine Enkel sind heute wie meine Kinder. Ich spreche mit denen über alles, diesbezüglich habe heute ich ein glückliches Leben“. Neben den familiären Bindungen sind ihr gute soziale Kontakte zu Einzelnen oder auch in Gruppen wichtig, die gute Freundin, die in schwierigen Zeiten „die engste Vertraute“ wird oder das Leben in einer großen Gemeinschaft von Gleichaltrigen „das war die schönste Zeit meiner Jugend“. Auch nach der Pensionierung hat sie sich bis ins hohe Alter noch mit ehemaligen ArbeitskollegInnen getroffen.


Ein weiterer Aspekt, der sich durch ihre Lebensphasen wie ein roter Faden zieht, ist die beschriebene Freude am Lernen sowie an der Arbeit. Sie erzählt, dass sie immer gerne zur Schule gegangen ist und ihr Traumberuf Lehrerin gewesen sei. Diesen

Traum konnte sie nicht verwirklichen, was sie jedoch nicht resigniert erzählt, sondern berichtet, wie sie durch Eigeninitiative Stenografie und Schreibmaschine schreiben gelernt hat, was ihr die Tätigkeit in unterschiedlichen Verwaltungsbereichen ermöglicht hat. Auch heute noch liest sie englische Texte, Romane, beschäftigt sich mit Rätseln oder den neuen Entwicklungen in der Stenografie.


Irene vermittelt in ihrer Erzählung, dass sie trotz schwieriger Lebensumstände und Erfahrungen im Leben eine positive Grundeinstellung entwickelt hat. Auch im Alter von 91 Jahren ist sie aktiv und versucht, sich geistig und körperlich gesund zu halten. Die klare Strukturierung ihres Tagesablaufs, die guten Beziehungen zu ihrer Familie sowie die Pflege sozialer Kontakte tragen vermutlich dazu bei, dass sie heute über sich sagt: „ich bin eine alte glückliche Person“.