Rose-Marie P.
Rose-Marie, genannt Rosi, ist aufgewachsen in einem kleinen Fischerdorf in Schleswig-Holstein.
Ihr Vater Paul ist Marine Offizier und Ihre Mutter führt ein kleines Schreibwarengeschäft vor Ort.
Trotz Krieg hat Rosi eine unbekümmerte Kindheit, spielt meist im Freien am Teich, sammelt Muscheln und baut Sandburgen mit Freunden und Freundinnen aus der Gegend. Tagsüber und nach dem Kindergarten kümmern sich die Großeltern um Rosi, da ihre Mutter im Laden zu tun hat.
Rosemarie hat schon früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Nach dem Kindergarten und später nach der Schule übernimmt Rosi bereits kleine Aufgaben im Laden.
Im Jahr 1944 kommt ihr Bruder Peter zu Welt. Und Rosi ist froh und glücklich, die große Schwester zu sein.
Da ihr Vater nur selten zu Hause ist, kümmert sich Rosi gern um den kleinen Peter. So etwas wie Eifersucht empfindet sie nicht, sondern ist eher stolz auf ihre neue Aufgabe.
Sie wird schon im Alter von 5 Jahren eingeschult und hat sich sehr schnell an die neuen Tagesabläufe mit festen Aufgaben gewöhnt. Die Nähe zum Meer empfindet Rosi als ein Geschenk, und wenn sie mal traurig ist oder wenn mal wieder niemand Zeit für sie hat, dann spielt sie im Sand und Matsch und alles ist wieder gut.
Rosi und Peter lieben ihren Vater sehr und genießen die Zeit mit ihm, wenn er Landurlaub hat.
Es ist immer noch Krieg, doch die Kinder merken kaum etwas davon.
Rosi bemerkt aber, dass die Mutter oft traurig und gereizt reagiert. Rosi denkt, es sei wegen der harten Arbeit, bis sie bemerkt, dass es ihr Vater, der Marine-Offizier, mit Treue nicht so genau nimmt und die Mutter deshalb so traurig ist.
Doch dann kommt Rolf aus Darmstadt in den Norden. Er ist von Beruf Fernseh- und Radiomonteur. Er reist kurz nach dem Krieg durch Deutschland von Haus zu Haus und bietet seine Dienste an.
Er klingelt auch an der Tür bei Rosis Mutter. Sie hat kein kaputtes Elektrogerät, aber ein kaputtes Herz.
Und hier beginnt eine Liebesgeschichte. Rolf schwärmt von seinem schönen Haus in Darmstadt und seinem Elektrogeschäft. Mit seinem Charme und Vertretertalent kann Rolf die Mutter überzeugen mit ihm und den beiden Kindern nach Darmstadt zu ziehen, um dort mit ihm ein neues Leben zu beginnen.
Rosi ist 9 und Peter 5 Jahre alt. Die beiden wollten eigentlich beide nicht weg aus ihrem Dorf, aber die Mutter bekommt strahlende Augen, wenn Rolf von der Großstadt erzählt.
So sind sie dann 3 Tage lang, bepackt mit dem Nötigsten, von der Ostsee mit einem Dreirad nach Darmstadt gefahren.
In Darmstadt angekommen, versteht Rosi erstmals, was Krieg bedeutet, denn das Haus in Darmstadt ist durch einen Bombenangriff zertrümmert und nur der Keller ist noch halbwegs bewohnbar.
Der Pflegevater Rolf entpuppt sich sehr schnell als strenge Autorität. Die beiden Kinder müssen zupacken, Steine klopfen, Trümmer wegfahren mit einer Handkarre und Ähnliches. Die Unbekümmertheit aus der Kindheit in Norddeutschland ist mit einem Schlag vorbei.
Der Stiefvater hat ganz gezielte Vorstellungen, wie die Zukunft von Rosi und Peter aussehen soll. Rosi besucht die Obere Handelsschule in Darmstadt und soll Sekretärin werden. Peter soll den Beruf des Elektronikers erlernen, damit die beiden später das Elektro Geschäft in Darmstadt übernehmen können.
Beide befolgen den Rat des Stiefvaters. Obwohl Rosi die Bürotätigkeit keinen Spaß macht, absolviert sie erfolgreich die Ausbildung und ihr Bruder ebenso. Doch beide Geschwister leiden sehr unter der strengen Autorität des Stiefvaters. Aber ein Zurück nach Norddeutschland ist auch ausgeschlossen, weil der Stiefvater Rolf den Kontakt zum leiblichen Vater total abgebrochen und auch verboten hat.
Brav und ohne Murren erfüllen die beiden ihre Aufgaben, weil sie auch die Mutter nicht noch mehr belasten wollen.
Im Alter von 18 Jahren bekommt Peter einen Studienplatz mit einen Stipendium in den USA und ist bis heute nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Er hat sein Studium erfolgreich abgeschlossen und dort geheiratet und eine Familie gegründet. Grund dafür ist nicht das Fernweh, sondern weil er sich nicht mehr der Strenge und Autorität des Stiefvaters beugen will. Der enge Kontakt zu Rosi ist bis heute geblieben. Sie ist Patentante seiner Tochter und beide besuchen sich regelmäßig.
Rosi arbeitet weiterhin in dem Elektrogeschäft des Stiefvaters, sie ist aber sehr unglücklich mit dieser Tätigkeit.
1959 bekommt Rosi ein Angebot, bei Sportveranstaltungen des DRK ehrenamtlich auszuhelfen.
Sie bemerkt, dass die Arbeit mit Menschen ihr weitaus mehr Freude bereitet als die Bürotätigkeit und sie kann den Stiefvater davon überzeugen, noch eine weitere Ausbildung als Krankenschwester machen zu dürfen. Doch Krankenschwestern gibt es in dieser Zeit bereits genug.
Gesucht werden Hebammen und hier hat Rosi ihre Berufung gefunden. Schon während der Ausbildung zieht Rosi von Darmstadt in ein Schwesternheim nach Heidelberg, wo sie sich mit 3 drei Schwesternschülerinnen ein Zimmer teilt.
Aber alles ist besser, als in Darmstadt bei dem tyrannischen Stiefvater weiterhin zu wohnen und für ihn zu arbeiten. Rosi lebt wieder auf und freut sich täglich auf jeden Einsatz. Tag- oder Nachtschichten sind kein Problem für sie. So etwas wie work-life balance kennt sie nicht. Sie ist sehr glücklich mit dem, was sie tut.
Rosi lernt sehr schnell und ist eine der ersten Hebammen, die mit der Ultraschalltechnik vertraut ist. Die Frauenärzte an der Heidelberger Klinik schätzen Rosi sehr und erkennen ihr Potenzial und ihre verantwortungsvolle und zuverlässige Art.
Dort gibt es einen Frauenarzt, der eine neue moderne Geburtenstation aufbaut und er bietet Rosi eine Festanstellung als Geburtshelferin mit Schwangerschaftsberatung in dem Klinikum an.
Sie stimmt zu und bezieht ihre erste kleine eigene Wohnung in Heidelberg. Wegen der Dienstzeiten hat Rosi sehr wenig private Zeit, aber das stört sich nicht. Innerhalb der Schwesternschaft und Hebammen hat sie einen Freundeskreis gefunden und das reicht ihr aus. Sie kommt gut mit ihren Kolleginnen / Kollegen aus und hilft auch hier, wo immer sie kann.
Im Sommer 1975 werden sie und einige andere Kolleginnen zu einer Geburtstagsfeier bei einem Zahnarzt nach Miltenberg eingeladen. Es ist ein sehr schönes Fest, aber das daraus mehr werden könnte, kommt ihr nicht in den Sinn. Anscheinend hat der Arzt Uwe auf Rosi gleich ein Auge geworfen, aber sie merkt nichts davon. Uwe gibt noch eine weitere Party im kleineren Kreis und kann so mit Rosi ins Gespräch kommen. Mit seiner Klugheit, seinem guten Benehmen und seiner Körpergröße von 1,93 m ist Rosi doch schwach geworden und es dauerte nicht lange bis zur Heirat.
Rosi geht weiterhin ihrem Beruf nach, denn sie möchte finanziell weitgehend unabhängig bleiben.
Der Arzt hat kein Problem damit, findet es aber schade, dass die gemeinsame Zeit sehr wenig ist.
Rosi findet durch ihn Aufnahme in die gehobene Gesellschaft und fühlt sich sehr wohl und anerkannt.
Sie erinnert sich sehr gerne an diese Zeit und an die wunderschönen gemeinsamen Urlaube.
Leider bleibt der Kinderwunsch der beiden unerfüllt.
Im Jahr 1990 verstirbt ihr Mann ganz plötzlich während eines Urlaubs mit Freunden bei einem Tauchunfall im Wörthersee. Er ist ein geübter Taucher und die genaue Ursache ist bis heute nicht geklärt. (wahrscheinlich Herzversagen)
Rosi wird wieder von einem auf den anderen Tag ihre Lebensgrundlage entzogen.
Nachdem sie den Schock einigermaßen verarbeitet hat, entscheidet sie sich, das gemeinsame Haus in Miltenberg zu verlassen. Die Immobilie des Arztes bekommen die Söhne aus erster Ehe und Rosi erhält eine Witwenrente.
Um nicht ständig an ihre Trauer erinnert zu werden, zieht Rosi nach Darmstadt zurück. Die Mutter und der Stiefvater sind mittlerweile gesundheitlich sehr angeschlagen und Rosi übernimmt weitgehend die Bürotätigkeiten und Organisation des Elektroladens. Zusätzlich arbeitet Rosi für einen Rechtsanwalt in Bensheim. Ihre kaufmännische Ausbildung hat ihr hierbei geholfen.
1995 erkrankt der Stiefvater an Demenz und Geschäft und Haus müssen verkauft werden.
Wie immer hat Rosi all diese Dinge erledigt.
Als Dank für ihre Mühe bekommt Rosi eine 3-Zimmer Wohnung hier in Bensheim-Auerbach von einer Tante überschrieben.
1996 ziehen alle drei zurück an die Ostsee in ein kleines Haus. Der Stiefvater verstirbt 1998.
Nach einem Sturz im Jahr 2010 wird auch ihre Mutter pflegebedürftig und Rosi pflegt sie bis zum ihrem Tod im Jahr 2016.
Ablenkung in dieser Zeit findet sie nur bei ein paar liebenswerten Freunden und Nachbarn aus der Umgebung, und ab und zu fährt Rosi mal in die Wohnung hier nach Bensheim und schaut nach dem Rechten.
Nach dem Tod der Mutter hat Rosi das Anwesen in Norddeutschland ebenfalls verkauft. Den Erlös hat Rosi in drei gleichen Teilen an Bruder, Nichte und sich selbst ausgezahlt.
2017 wurde Rosi meine Nachbarin und ich dachte mir, was für eine „coole ältere Dame“ bzw. „Alter kann auch schön sein“. Ihre Lebensgeschichte kannte ich zu der Zeit noch nicht.
Fazit abschließende Betrachtung:
Auf meine erste Frage, wie sie das alles gemeistert hat und wo sie die Kraft hergenommen hat, sagt Rosi:
„Ich habe immer auf mein Gewissen gehört und getan, was zu tun ist.“
„Ich habe nie mit dem Schicksal gehadert, sondern eher nach dem Motto gelebt:
Wenn das Leben Dir eine Zitrone gibt, dann mache eine Apfelsine daraus.“
„Glück und Kraft habe ich durch meine berufliche Tätigkeit erfahren. Einem neuen Menschen in das Leben zu verhelfen ist etwas Wunderbares.“
Auf meine zweite Frage, wie sie mit dem Alter umgeht, antwortet Rosi wörtlich:
„Bis auf meine Ehejahre ist jetzt meine beste Zeit. Nachdem auch die beiden Katzen
meiner Mutter letztes Jahr in einem hohen Katzenalter verstorben sind, bin ich erstmals in meinem Leben frei und unabhängig und kann tun und lassen was ich möchte.“
Rosi hat sich einen schicken Mercedes SLK geleistet und fährt durch die Lande und besucht Freunde und Bekannte. Sie wünscht sich noch einige Jahre gesund und rüstig bleiben zu dürfen.
Rosi ist sehr dankbar und sich auch bewusst, dass sie trotz aller Tiefs auch viel Glück hatte im Leben.
Ohne die Rente und das Erbe der Wohnung hier an der Bergstraße, könnte sie ihr Alter nicht so sorglos gestalten.
Ich wünsche Rosi von ganzem Herzen, dass sie noch lange gesund bleibt und noch viele Touren und Besuche mit ihrem SLK machen kann. Und als Nächstes wünsche ich Rosi, dass die Flüge in die USA zu ihrem Bruder bald wieder problemlos möglich sind.
Schön, Dich als Freundin haben zu dürfen!
Danke für Deine Offenheit